Ein "nachhaltiges" Gespräch

Haben wir heute schon eingekauft? Bananen aus Costa Rica, Trauben aus Indien oder Chile, Erdbeeren aus Marokko, Kartoffeln aus Ägypten, Mango aus Myanmar, Avocados aus Mexiko – und überhaupt aus aller Welt. Abgesehen davon, dass wir grundsätzlich auch auf einheimische und saisonale Früchte und Gemüse zurückgreifen könnten, um unser Klima durch die langen Transportwege nicht noch stärker zu belasten, haben wir vielleicht auch zu viel eingekauft.

 

Und so werfen wir, die Verbraucher, der Handel und Kantinen, Restaurants und wer sonst noch alles beteiligt ist , allein in Deutschland jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weg, das ist ein Drittel der Produktion. Wir leben im Überfluss, während andere Menschen Hunger leiden - und das nicht nur in Afrika, Asien oder Lateinamerika, sondern auch bei uns, wenn wir den immer größeren Zulauf zu den „Tafeln“ sehen. Unsere Kinder kennen es vielfach nicht besser: Ist das „Mindesthaltbarkeitsdatum“ abgelaufen, werden die Wurst, der Käse, der Joghurt und, was noch immer im Kühlschrank ist, weggeworfen und Neues gekauft. Die Lebensmittelindustrie macht`s möglich, da die Preise für die meisten von uns erschwinglich sind. Unsere Kinder lernen einen verantwortungslosen Umgang mit Lebensmitteln – von ihren Eltern! Aber haben es die Älteren von uns nicht von Ihren Eltern besser gelernt? Denn Überfluss gab`s nicht immer – und vielleicht müssen wir uns auch wieder darauf einstellen.


Gespräch mit der Zeitzeugin

 

Weil auch ich mich noch erinnern kann, dass saure Milch aufgestellt und später als Hauptgericht mit Pellkartoffeln mit Leinöl oder mit Zucker als süßer Nachtisch gegessen wurde, kam ich mit Frau Henk ins Gespräch, die das Kriegsende als Teenager in Rheinbreitbach erlebt hat. Sie erzählte, dass Wegwerfen bei ihr nicht In Frage kommt, da sie sich noch gut an die Hungerjahre nach dem Krieg erinnern kann. Ihre Großeltern sind im Winter 1945 beinahe verhungert. Sie selbst hat nach Brot, wenn es welches auf Lebensmittelkarten gab, oft mehr als eine Stunde anstehen müssen – und es konnte passieren, dass, wenn sie es an die Spitze der Schlange geschafft hatte, keines mehr gab. Durch die gemeinsame Not, denn es gab an Zuteilung 1945/46 nur zirka eintausend Kalorien am Tag , also vierzig bis fünfzig Prozent des eigentlichen Bedarfs eines Erwachsenen, war der Zusammenhalt in der Nachbarschaft sehr groß, und es erwuchsen Freundschaften, die heute noch bestehen.


Mit dem mit 20 Pfund Mirabellen beladenen Fahrrad ist die 16-jährige Jutta Henk 1946 im Tausch gegen einen Topf mit Suppe, einen Liter Milch und ein Stück Wurst oder Speck 20 km zur Schwester ihrer Rheinbreitbacher Nachbarn in den Westerwald gelaufen, die dort eine Landwirtschaft hatten, weil die Lebensmittelzuteilungen eben nicht reichten. Von dem, was so mühevoll erstanden worden war, ist natürlich nichts weggeworfen worden, denn es wurde erst gar nicht schlecht. Fleisch hatte sowieso Seltenheitswert: Manchmal gab es „Freibank“ („minderwertiges“ Fleisch, von Tieren, die nicht zur Schlachtung bestimmt waren, wie z. B. verunfallte Tiere) – oder Pferdefleisch. Frau Henk hatte mit ihrer Schwester auch das Glück, dass sie in Nonnenwerth zur Schule ging und dort etwas von der englischen Schulspeisung abbekam, die die unterrichtenden Nonnen ihnen zusteckten. Denn in der französischen Zone gab es noch keine Schulspeisung. Es war eine Zeit des Kampfes ums nackte Überleben, für das jede Arbeit angenommen und diese oft nur schlecht bezahlt wurde. So erinnert sie sich, dass der ehemaligen „Bursche“ ihres Vaters bei einem Bauern im Westerwald für einen halben Tag Holzhacken als „Lohn“ ein Ei bekommen hat. Der erwachsene Mann ist in Tränen ausgebrochen.


Alle Wege mussten zu Fuß zurückgelegt werden; denn nach dem Krieg fuhren kaum Züge, und es gab keine privaten Autos. Selbst Fahrräder waren ein Luxusgut. Um den extrem kalten Hungerwinter 1946/47 zu überstehen, wurde alles brennbare Material gesammelt, und selbst die Kirche tolerierte die „Selbstversorgung“ der Menschen mit Brennmaterial („fringsen“: benannt nach dem Erzbischof von Köln, Kardinal Frings, der das Entwenden von Kohle von den Güterwaggons nicht als Sünde verurteilte). Wir waren uns einig, dass es uns auch heute noch schwerfällt, etwas wegzuwerfen. So wird altes, hartes Brot weiter verwendet, schimmlige Stellen werden ausgeschnitten und abgelaufene Lebensmittel auf ihre Weiterverwendbarkeit überprüft - d.h. weg von der Selbstverständlichkeit und hin zu mehr Demut, Dankbarkeit und Wertschätzung, die sich dem gegenüber zeigt, was uns heute zur Verfügung steht.


Jörg Treffert

PS: Trotz des an sich deprimierenden Themas gab es aber am Schluss des Gesprächs doch etwas zum Schmunzeln, als Frau Henk erzählte, wie sie mit dem Linienbus im Brautkleid zu ihrer Trauung nach Linz gefahren ist.

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