Erinnerungen: Vor 80 Jahren

1938 - im Jahr der Reichspogromnacht, die sich am 9. November 2018 zum achtzigsten Mal jährt – wohnten in den zu unserer Kirchengemeinde gehörenden Orten noch 73 Juden. Gut ein Jahrzehnt davor waren es noch 123 und Ende des 19. Jahrhunderts etwa doppelt so viele, das war etwa ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Diese Menschen waren Nachbarn, man wohnte Haus an Haus und Wohnung an Wohnung. Zwar gab es immer wieder - von interessierter Seite geschürt – Ressentiments und Anfeindungen. Aber die Synagogen und Bethäuser standen wie die christlichen Kirchen mitten in den Orten. Das Neben- und Miteinander war so selbstverständlich, dass um 1890 die Kinder der evangelischen Schule vom jüdischen Lehrer Würzburger unterrichtet wurden.

 

Aber bereits am 1. April 1933 hatte der Boykotttag jüdischer Geschäfte gezeigt, dass die neuen Machthaber ihre antisemitischen Tiraden auch in die Tat umsetzten. Es folgten die Nürnberger Rassegesetze von 1935, die weitere Diskriminierungen nach sich zogen. Schließlich kam die Nacht vom 9. zum 10. November 1938, die Reichspogromnacht. Wie auch ich werden sie die Älteren von Ihnen sie noch verharmlosend als „Reichskristallnacht“ kennen. In dieser und der folgenden Nacht brannten angestift et und unterstützt von Partei und Staat neben jüdischen Geschäfte und Wohnungen die jüdischen Gotteshäuser und es wurden Menschen jüdischen Glaubens erniedrigt, misshandelt und nicht zuletzt auch ermordet.


Der von den Brandstiftern, Gewalttätern und Mördern, oft auch Nachbarn der Opfer, angerichtete materielle Schaden in Höhe von über einer Milliarde Reichsmark wurde wie zum Hohn auch noch den Opfern zur Begleichung auferlegt. Diese mussten zusätzlich auf eigen Kosten die nach außen sichtbaren Schäden beseitigen, da die Versicherungen angewiesen waren, ihre Leistungen nicht an die Opfer, sondern an den Staat zu überweisen. Die Täter, deren Gewaltausbrüche zahllose Menschen schwer verletzt und die zwischen 1.300 und 1.500 Menschen ermordet hatten, wurden nicht verfolgt.

 

Spuren jüdischen Lebens können Sie daher nur noch schwer finden. In Erpel in der „Hauptstraße 8“ und Linz in der Straße „Auf dem Berg“ sind die ehemaligen Synagogen bzw. Betsäle nun Wohnhäuser. In Linz ist auch die ehemalige jüdische Schule in der „Neustraße 20“ nun ein Wohn- bzw. Geschäftshaus. Von der Rheinbrohler Synagoge existiertein zeitgenössisches Foto. Sie stand auf dem Grund des heutigen Hauses „Hauptstraße 20a“, nicht weit von der evangelischen Kirche.

 

Das Gelände der ehemaligen Unkeler Synagoge „Ecke Am Graben/Freiligrath-Straße“ allerdings ist heute der Vorplatz von Garagen. Allerdings existiert noch eine Zeichnung, die einen Eindruck vom ursprünglichen Aussehen der Synagoge gibt. Dort, aber auch an vielen anderen Stellen, erinnern noch Gedenktafeln an die ausgebrannten Synagogen bzw. Bethäuser, da sie abgebrochen, die Grundstücke verkauft und wieder überbaut wurden.

 

An den ehemaligen Versammlungsorten der jüdischen Gemeinden gedenken die Bürger heute ihrer ehemaligen jüdischen Mitbürger am 9. November mit öff entlichen Veranstaltungen. Die Namen der 96 in den Todeslagern Ermordeten, die hier geboren wurden oder längere Zeit gewohnt haben, verzeichnen die Tafeln in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vachem auf dem Berg Har Hazikaron (Berg des Gedenkens) in Jerusalem.


Zwar konnten sich vor 1939 Menschen im europäischen Ausland in Sicherheit bringen, wo sie allerdings oftmals der Krieg und die Verfolgung wieder einholten. Vielen war aber die Flucht verwehrt, auch weil sich die Nachbarstaaten Deutschlands zunehmend weigerten, diese in akuter Lebensgefahr schwebendenMenschen aufzunehmen. Auf einer Konferenz im französischen Evian am Genfer See, die aus Angst der Schweiz vor deutschen Repressalien dorthin verlegt worden war, berieten im Juli 1938 32 Staaten über Hilfen für die Menschen. Sie konnten sich aber nur auf die Gründung eines Intergovernmental Committee on Refugees einigen, das in Verhandlungen mit Deutschland die Modalitäten einer künftigen Auswanderung regeln sollte, aber das wenig erfolgreich war, da die meisten Staaten sich weigerten
Flüchtlinge aufzunehmen. Kommt Ihnen das nicht auch bekannt vor?


Jörg Treffert

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